Eine Auseinandersetzung des Pygmalion Theaters im Reportagestil mit der Erzählung der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.
Allein der Titel „Undine geht“ verrät, dass
Undine in diesem Zusammenhang alles andere als die kleine, süße
und in Liebe entbrannte Meerjungfrau ist, die ihr Leben opfert
für ihren tapferen und zugleich lebensbedrohten Prinzen, ihren
Traumprinzen, den sie am Ende aber doch verliert.
Mit
Julia Jellen
Regie & Raumgestaltung: Camelia Tino
Wann ist die Liebe
zwischen Mann und Frau möglich und wann nicht? Was
hemmt sie und wie kann man dieses Hemmnis
beseitigen? Ingeborg Bachmanns mythische Figur
Undine setzt sich damit in ihrem Monolog „Undine
geht“ auseinander. Was bringt Männer und Frauen
zusammen und was trennt sie?
Sie sind unterschiedlich. Der Mann das Ratio, die
Frau das Emotio. Der Mann abstrakt, technisch,
abgehoben, die Frau natürlich, sinnlich, mystisch.
Die Frau als Gebrauchsgegenstand für den Mann.
Zweckorientiert setzt er sie ein in seinen
Lebensapparat, schreibt ihr die Funktion der Muse
und des Tragetieres zu. Sie ist „Eintagsfrau“,
„Wochenfrau“, „Lebenslangfrau“. In seiner
ökonomischen Welt soll es glatt gehen, sollen Mann
und Frau sich von die Zukunft spannen, Kinder
kriegen. „Jeder wird klüger an einer anderen
Fakultät, jeder kommt voran in einer anderen
Fabrik“. Regel Gesetzt, Wirkung, Kraft. Doch die
Frau ist kein Modul. Die Undine schon gar nicht. Sie
räumt auf mit den Konventionen, wirft die Klischees
ab, flieht aus dem Alltag in die Seen, Flüsse Meere
dieser Welt, in ihre Einsamkeit. Doch, sein Name
„pflanzt sich fort unter Wasser, weil ich nicht
aufhören kann ihn zu rufen“. Die Undine kann nicht
ohne einen Mann leben, sei es im ursprünglichen
mythologischen Sinne gemeint oder im Bachmannschen.
Die Undine und alle Frauen mit ihr unterliegen dem
Zwang zu lieben. Weil die Liebe nicht
zweckorientiert ist, weil sie „zu keinem Gebrauch
bestimmt ist“. Weil sie ist und deswegen zur Welt
der Frauen gehört. Die Frau muss lieben, weil es in
ihrer Natur liegt und der Mann, wenn er ihr auf
einer Lichtung begegnet, liebt auch. Wenn „dir
nichts mehr einfiel zu deinem Leben, dann hast du
ganz wahr geredet, aber auch nur dann“. Wenn die
Polarität der beiden sich aufhebt, wenn sie nicht
mehr Klischees sondern Menschen sind, wenn sie sich
über Gewohnheit, Konvention, Rollentypen,
patriarchalischen Zwänge der Gesellschaft hinaus
verständigen können, dann ist es nicht mehr weit,
vom einen zum anderen. Dann ist die Ganzheit
geschaffen, dann ist Nähe, Verbundenheit. Doch die
Lichtung ist kein alltagstauglicher Ort. Ein Ideal,
unerreichbar und deswegen vergänglich. Liebe lässt
sich nicht halten. Und so kehrt die Undine klagend
in ihre Wasser zurück und nimmt sich dieses Mal vor,
den Kreislauf von auftauschen, Hans rufen ihm
begegnen und ihn verlassen, zu durchbrachen und nie
wieder zurück zukommen.
Ingeborg Bachmann schafft mit der Undine einen
neuen Frauentypus, der sich nicht unterordnen will,
der die Männer versteht und deswegen nicht verstehen
kann. Eine unabhängige Frau, die trotz ihrer
Freiheit nicht glücklich ist, weil sie lieben muss.
Und weil dieser Zwang sie leiden lässt. Deswegen
sind alle Männer Hans, deswegen sind sie Ungeheuer
und Monster, doch trotz allem, zu loben, wegen ihrer
Zartheit. Die Undine verurteilt die Männer nicht,
sie will sie verstehen, sie ist um die Ganzheit
bemüht, will die wahre Liebe und nichts darunter,
scheitert an diesem Ideal und leidet.
Ein Zeugnis der inneren Welt der Autorin, die in
ihrer Beziehung zu Max Frisch unabhängig bleiben
wollte, Kinderlos blieb und ein Leben lang darunter
litt.