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"Amerika"


von Franz Kafka


Für die Bühne dramatisiert und inszeniert von Geirun Tino



Darsteller:


Straßenmaler:         Ip Wischin
Karl Roßmann:       Ann-Birgit Höller / Michael Kellner / Anton Nouri



Künstlerische Gestaltung der Amerika-Flagge:        Antonia Hinterreitner



Synopsis

Karl Roßmann ist gerade siebzehn Jahre alt, als er Europa wegen eines Familienskandals verlassen muss. Doch er ist nicht vorbereitet auf das, was ihn in seiner neuen Heimat Amerika erwartet. Ein schrulliger Straßenkünstler nimmt sich des blauäugigen Jungen an und spielt für ihn vor ihm und mit ihm alle Facetten der trügerischen Welt des "American dream" durch. Aber eben dieser Schein der "unbegrenzten Möglichkeiten" ist es, der die beiden schon längst gefangen genommen hat und in seine Maschinerie tiefer und tiefer hineinzieht. Die Geschichte einer Emigration, die vielleicht voll Hoffnung begonnen hat, wird zur Geschichte eines Scheiterns, dessen Unausweichlichkeit in den Bildern des grotesken Straßenmalers immer deutlicher wird.




Das imaginierte Amerika
von Adrian Mihalache - "Theater heute 2002" Bukarest

Franz Kafka war nie in Amerika, er hat es sich nur vorgestellt. Jeder hat sein eigenes Amerika, ein mentales Konstrukt einer exotischen Welt; für einige eineUtopie, für andere eine Dystopie - ein Bild, das zugleich durch die psychischen Mechanismen von Ausgleich und Übertragung therapeutische Wirkung haben kann. Madeleine ist mon Amerique à moi singt Jacques Brel über seine unerreichbare Geliebte. Zu Kafkas Zeiten war Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Versprechungen, aber auch Zuflucht für alljene, die alles verloren haben. Der Autor hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, gegen dieses Klischee anzurennen, indem er einen realistischen, nicht aber seinen besten Roman schrieb.

Man spürt darin die polemische Absicht wider die landläufigen Bilder aus zweiter Hand. Diese Schwächen deutet die Dramatisierung von Geirun Tino, einem ursprünglich aus Braila, Rumänien, stammendem Wiener Regisseur zum Vorteil der Aufführung um. Anstelle der im Roman beschriebenen Konfrontation zwischen dem Ideal von Karl Roßmann und dem enttäuschenden wahrhaftigen Amerika, besteht hier der zentrale bühnensymbolische Konflikt in der geistigen Auffassung eines Emigranten versus der symbolischen eines Künstlers. Karl Roßmann frisch per Schiff gelandet, trifft auf einen Landsmann, ein Straßenmaler, der ihm buchstäblich ein durch Straßengemälde rekonstruiertes Amerika zu Füßen legt. Physisch schwebt das imaginierte Amerika über dem gezeichneten. Auf ein Blatt Papier, das fast den ganzen Boden des Bühnenraumes bedeckt, werden währende der Aufführung immer wieder Zeichnungen mit lockerer Hand hingeworfen, Skizzen, die wir leider nicht sehen können, wir können aber vermuten, dass sie an Saul Steinberg gemahnen - ein anderer Amerikaner dieser Provenienz. Dazu steht die darüber hängende Amerikanische Flagge, die Stars & Stripes, als hätte sie Jasper Johns gemalt, in engem Kontrast. Mit präzisem Gestus und reich an Einfällen spielt Ip Wischin die Rolle des Straßenmalers, und baut vor uns einerseits seiltänzerisch, andererseits erbarmungslos sein Amerika, knapp und komplex zugleich im Ausdruck. Ali Nouri, der Interpret von Karl Roßmann, hält während der ganzen Aufführung einen in Verwunderung fixierten Ausdruck und kontrastiert so die faszinierende Mobilität seines Partners. Gemeinsam bilden die beiden ein Beckett'sches Duo wie Wladimir und Estragon, die in Godots Behausung angekommen sind, dort aber niemanden vorfinden. Obwohl ich selbst nicht gut Deutsch spreche, war mir die sehr präzise Sprachmodulation mit ihrer Differenzierung europäischer Tonalität und kultureller Anpassungsmühe deutlich zugänglich. Besonders bemerkenswert ist das Finale, in dem die Amerikanische Hymne "Star Spangled Banner" gesungen wird. Die Aufführung lädt zur Reflexion über stilistische Grenzen einer heterogenen Darstellung ein, worin verschiedenste semiotische Elemente miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Die Flagge auf der Vertikalen, die Zeichnungen, die auf der Horizontalen ausgeführt werden, die besonders reiche Gestik in der dritten Dimension, die expressive Sprache, die im Jetzt verankert ist, all dies baut eine Polyphonie wohldefinierter Stimmen und Gegenstimmen auf, insgesamt Theatermagie, die eine bestechende Aufführung ergibt.


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