W J-T:
Als ich jung war, da war ich ein Dichter. Ich habe Gedichte und
Erzählungen geschrieben. Aber ich habe schon immer von einem großen
Roman geträumt. In Wien musste ich an der Uni russische
Wirtschaftslinguistik unterrichten um das langjähriges Studium
meiner Frau Anna Jermolaewa zu finanzieren. Sie hat zuerst
Kunstgeschichte studiert, dann ein Kunststudium an der Kunstakademie
begonnen. Unsere Tochter Maria-Anastasia war klein. Plötzlich wurde
meine Frau als Künstlerin bekannt. Sie hat ihre Videos im
Internationalen Pavillion bei der Biennale in Venedig präsentieren
können und kurz danach bekam sie eine Assistentenstelle am
Schillerplatz, dann eine Professur in Karlsruhe. Es war eine
Erleichterung für mich. Ich habe mir gesagt: jetzt ist die Zeit
gekommen einen Roman zu schreiben! Ich habe zwei freie Semester an
der Uni bekommen und bin nach Sankt-Petersburg gefahren und habe
dort an meinem Roman geschrieben.
PH K:
Hast Du das geschafft?
W J-T:
Schon, ich habe den ersten Roman "Moi-moi" genannt und er ist 2003
in Russland in einer Auflage von 50.000 Stück erschienen. Ich habe
dafür den Nationalbestseller Preis 2003 bekommen. Das war ein
Erfolg, aber ich wurde schwer vergiftet. Ich nehme an – vom
russischen Geheimdienst. Oder von meinem russischen Verleger. Oder
von einer finnischen Diplomatin, eine Liebesaffaire die ich in
meinem Buch beschrieb. Da kann man nur mutmassen. Ich schwebte fast
zwei Jahre zwischen Leben und Tod. Ich konnte nicht arbeiten, ich
habe meine Stelle an der Uni Wien aufgeben müssen, ich musste
Schulden machen, aber ich habe überlebt.
PH K:
Nein, das kann nicht wahr sein!
W J-T:
So war es. Dann habe ich begonnen Theaterstücke zu schreiben, ich
dachte über die Literatur nach, ich wollte daß meine Texte
inszeniert werden, ich wollte, daß meine Texte belebt werden.
Seitdem schreibe ich Theaterstücke.
PH K:
Wie bist Du auf das Pygmalion Theater gestossen?
W J-T:
Das war eine schöne Geschichte! Ich habe in der „Wiener Zeitung“
gelesen - Russischer Abend im Pygmalion Theater. Es war ein Konzert
zum Frauentag am 8. März 2006 angekündigt. Da bin ich mit meinen
russischen Literaturfreunden gekommen. Wir waren zu viert. Drei
Männer und eine Frau. Aber das Konzert wurde abgesagt - die Geigerin
war krank geworden. Tino der Direktor des Theaters wollte uns mit
ca. 20 anderen Gästen nach Hause schicken, aber ich habe ihm
vorgeschlagen eine spontane Lesung zu machen. Wir haben unsere
Gedichte dem Publikum vorgetragen. Alle haben sich gefreut. Es war
ein Superabend!
PH K:
Meine nächste Frage betrifft Deine Schriftstellerei - welchen
Fährnissen, welchen Schwierigkeiten bist Du bei Deiner Tätigkeit als
Schriftsteller in Österreich ausgesetzt, wie gelangst Du an
irgendwelche Unterstützung?
W J-T:
Die Literaturchefs von WienKultur und BKA/BMUKK haben mich bis jetzt
nicht gefördert. Als Russe habe ich kaum eine Chance die Fürderungen
zu bekommen. Über das Magazin „Wienzeile“ habe ich schon ein paar
Mal kleine Reisestipendien erhalten um den Herausgeber der
Zeitschrift nach Russland als Dolmetscher zu begleiten. Ansonsten
wurde ich immer abgelehnt, sowohl beim Bund als auch bei der Stadt
Wien. Ich bin für sie noch ein Literat 2-er Sorte, scheint mir. Aber
ich bin damit zufrieden. Ich bekomme nichts, aber ich werde auch
nicht für meine Schreiberei so wie in Russland verfolgt. Dafür bin
ich dem österreichchen Staat sehr dankbar!
PH K:
Meine nächste Frage bezieht sich konkret auf das Stück, welches wir
in der szenischen Lesung im Pygmalion Theater erarbeiten, nämlich -
Wie kommt ein gebürtiger Russe dazu, sich in einem Stück mit der
österreichischen Literatin Ingeborg Bachmann auseinanderzusetzen?
W J-T:
ngeborg Bachmann ist eine typische österreichische Künstlerin. Eine
verrauchte komplexe Person. Ich bin seit 20 Jahre in Österreich und
kenne sehr viele hiesige Künstler, welche an Raucherfolgen gestorben
sind. Viele meiner Freunde. Sie sterben an Lungenkrebs und kriegen
Raucherbeine. Die Bachmann ist auch am Rauchen gestorben, aber das
war ein spektakulärer Tod! Es war ein Tod im Feuer! Sie hatte keine
Raucherbeine, sie hat nicht Blut gehustet. Sie ist wunderschön
gestorben!
PH K:
Also - Rauchen als die primäre Veranlassung dazu, ein Stück zu
schreiben?
W J-T:
Natürlich! Das ist wirklich ein Fegefeuer! Diese Literatenszene…In
jedem Lokal wird getschickt! Die Künstler bekommen keine Kinder.
Wenn schon, dann gefährden sie oft ihre Kinder, weil ihre Eltern
zuhause ununterbrochen tschicken und eigene Kinder nicht
berücksichtigen... das ist wirklich brutal! Die Bachmann hatte, Gott
sei Dank, keine Kinder, aber doch ein intensives Liebes- und
Beziehungsleben.
PH K:
Bei dieser Vielzahl, bei diesen Plejaden an erotischen und
nicht-erotischen Beziehungen, die Ingeborg Bachmann unterhalten hat
(man denke nur an Celan und Henze), wie kamst Du dann gerade zu der
bestimmten Auswahl Max Frisch – Ingeborg Bachmann – Heinrich Böll?
Warum gerade dieses Dreieck?
W J-T:
Ich habe wochenlang im Wiener Literaturhaus nachgeforscht, alle
Nachrufe gelesen, es existiert sehr viel Literatur zum Thema
Bachmann/Böll/Frisch, dieses Dreieck kann nicht wirklich
verschwiegen werden. Die Russen kennen nicht viel von der
deutschsprachigen Literatur. Aber die Österreicherin Ingeborg
Bachmann, den Deutschen Heinrich Böll und den Schweizer Max Frisch
kennt jeder gebildete Russe. Das waren die drei…
PH K:
…Speerspitzen…
W J-T:
Speerspitzen der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts.
PH K:
Also sozusagen eine nahe liegende Entscheidung, sich für gerade
diese drei Repräsentanten der deutschsprachigen Literatur zu
entscheiden?
W J-T:
Das hat mich so gefreut, diese drei Figuren in meinem Stück als
Personnen einzusetzen. So ein Bermudadreieck der Liebe.
PH K:
Im Finale Deines Stücks, Deine Mutmaßung, dass möglicherweise Max Frisch
als Ursache für das Ableben von Ingeborg Bachmann herhält, wie kam
es zu dieser Präsumption, dass gerade Max Frisch das Zünglein an der
Waage zu ihrem Ableben gewesen sein kann, dass Max Frisch mit der
brennenden Zigarette nachgeholfen hat?
W J-T:
Er wollte sie heiraten, er hat diese Beziehung sehr ernst genommen.
Und sie wollte es nicht. Er war also beleidigt. Er hat auch in
seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ diese Beziehung beschrieben.
Er hat sich als Blinder ausgegeben, ich glaube, er hatte schon ein
Motiv. Ich wollte ein bisschen Krimi machen. Das kommt immer gut an.
Und ich habe mir gedacht, dass könnte schon sein. Warum sollte sie
im Schlaf verbrennen? Vielleicht hat der Frisch das gemacht? Er hat
sie geliebt, und er dachte, sie wird was, sie bekommt den
Literaturnobelpreis. Und dann hat er gemerkt, sie bekommt ihn nicht,
und er wollte sie irgendwie berühmt machen. Er hat sie sozusagen
verewigt.
PH K:
In diesem Stück kommt ganz stark zum Tragen, dass Ingeborg Bachmann
nach Ruhm süchtig war, und das, obwohl sie im deutschsprachigen Raum
aufgrund der diversen Preise, die sie erhalten hat, 1964 den Büchner
Preis, 1968 der Großen Österreichischen Staatspreis, 1972 den Anton
Wildgans Preis große Beachtung erlangt hat? Wie lässt sich das
vereinbaren?
W J-T:
Aber sie wollte den Nobelpreis!
PH K:
Das bedeutet, solange sie den nicht erhalten hatte, konnte sie ihrer
Ruhmsucht nicht abschwören, ein ungestilltes Verlangen nach dieser
ultimativen Anerkennung?
W J-T:
Selbstverständlich!
PH K:
Welche Zukunftspläne wirst Du verfolgen?
W J-T:
Ich verfolge nichts, ich möchte das Stück auf eine große Bühne
bringen. Oder auf eine kleine Kammerbühne in einem grossen Theater.
Zum Beispiel gibt es das Vestibül im Burgtheater oder das Kasino am
Schwarzenbergplatz, wo ich schon im Jahre 1999 ein internationales
Performanceprogramm mit Naked Poets veranstaltet habe. Vielleicht
eine Kooperation mit dem Pygmalion Theater, mal sehen... Ich bin
jetzt zum Direktor des Russischen Theaters Berlin berufen worden.
Und so erweitern sich auch meine Möglichkeiten. Wir werden das Stück
sicher in Berlin zeigen.
PH K:
Vielen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute für Deinen
weiteren Werdegang!
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